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Wie das Licht nach Heiligenrode kam



Die Klostermühle war Ausgangspunkt der Elektrizitätsversorgung in Heiligenrode. Die Mühle hatte damals noch zwei Wasserräder. Das zweite Wasserrad, mit dem die Feinmüllerei und Oelmühle betrieben wurden, trieb ab 1911 zusätzlich einen Generator an. So konnten die Mühle und das Wohnhaus mit elektrischem Licht ausgestattet werden und nähere und weitere Nachbarn ebenfalls - gegen Entgelt, versteht sich. Die Getreideimporte sollen derzeit zurückgegangen sein, und so war die Stromlieferung sicherlich auch eine zusätzliche Einnahmequelle. Wieviel Einfluss die von 1909 bis 1915 im Anbau der Mühle betriebene Dampflokomobile und der 1918 angeschaffte Benzolmotor einbrachten, kann heute nicht mehr ermittelt werden.
1911 also hielt das elektrische Licht Einzug in Heiligenrode, denn der „Elektrizitätswerksbesitzer” Heinrich Steffens versorgte alsbald über Freileitungen drei Gasthäuser, den Gast- und Landwirt Heinrich Meyer im Ortsteil Malsch und 5 weitere Häuser, am weitesten entfernt die Postagentur Buschmann. In der Mühle wurde 110 Volt Gleichspannung erzeugt, und zwar zu den Zeiten, in denen auch die Mahlgänge betrieben werden mussten. In den Zwischenzeiten, die zur Auffüllung des Wasserreservoirs notwendig waren, übernahm ein Akkumulator - das waren 60 mit Schwefelsäure gefüllte Glasgefäße, mit eingehängten Bleiplatten, heute bekannt als Batterie - die Versorgung. Gebräuchlich für die Beleuchtung waren damals 15-Watt-Glühlampen. Die Hersteller von Stromzählern fürchteten sogar die Einführung von 10-Watt-Glühlampen, deren geringer Verbrauch nur mit Spezialzählern zu messen war. Fortschrittliche Strombezieher benutzten aber schon mehr und mehr - wenn auch nur vorübergehend - „Kraftapparate”, z.B. elektrische Wasserpumpen und sogar Staubsauger, so dass der Elektrizitätswerksbesitzer Steffens sicherlich manches Mal Mühe hatte, seine Kunden zufrieden zu stellen, diese auch häufig über Stromschwankungen und Stromausfall Klage führten.
Nach dem ersten Weltkrieg wuchsen größere Stromversorgungsnetze, nunmehr aber für hochgespannten Wechselstrom (15 000 Volt), die ihre Energie aus Kraftwerken bezogen und an örtliche Elektrizitätsgenossenschaften verkauften. So kamen auch nach Heiligenrode Versorgungsleitungen. In der Mühle wurde eine Transformatorenstation mit nachgeschalteten Quecksilberdampfgleichrichtern eingerichtet, und ab Mai 1921 wurde das Steffenssche Gleichstromnetz mit größerer Leistung versorgt.
In den ersten Jahren wird es dem Müller möglich gewesen sein, wahlweise seinen eigenen oder den Überlandwerksstrom zu verwenden und zu verkaufen. Die Strompreise waren recht stattlich, z. B. 1918 0,60 Mk/kWh, 1920 1,- Mk/kWh und 1921 schon 1,50 Mk/kWh.
In der zweiten Hälfte der 20er Jahre wurde das Netz der Transformatorstationen um Heiligenrode enger, der Bedarf vor allem durch motorische Antriebe (z. B. Dreschmaschinen) stieg, und so wurde nach und nach auf Wechsel- bzw. Drehstrom und direkten Bezug vom Überlandwerk umgestellt.
Kurz nach 1930 ersetzte der junge Friedrich Steffens das zweite Mühlrad durch eine heute noch vorhandene Francis-Turbine mit horizontaler Welle, die die Wasserkraft besser nutzen sollte (Wirkungsgrad über 80 %). Durch Verstellen der Leitschaufeln von einem an beliebiger Stelle angeordneten Leitstand aus konnte Drehzahl und Leistung der Turbine dem jeweiligen Bedarf für die verschiedensten müllereitechnischen Antriebsaufgaben angepasst werden. Ein Gleichstromgenerator von 15 kW Leistung konnte ebenfalls betrieben werden, nunmehr diente dieser jedoch nur noch dem eigenen Bedarf an Licht und Heizung. Die Zeit der kleinen privaten Elektrizitätswerksbesitzer ging vorbei, ihre Pionierarbeit war aber ein unentbehrlicher und mutiger Schritt hin zur heute so selbstverständlichen und leistungsstarken Elektrifizierung.